24. September 2015

Beendigung des Welthungers bis 2030? Wie hehre Ziele manipuliert werden

Die neue 2030-Agenda mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), die am Wochenende in New York beschlossen wird, proklamiert als Ziel Nr. 2 nicht weniger als den Hunger in der Welt in den nächsten 15 Jahren komplett auszurotten. Doch schon die bisherigen Erfahrungen mit durchaus bescheideneren Zielen lassen Zweifel aufkommen.


Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass heute 795 Millionen Menschen an schwerem Hunger leiden. Damit verzeichnet die FAO  einen Rückgang um 172 Millionen Hungerleidende seit dem Welternährungsgipfel 1996. Versprochen wurde damals jedoch, die Zahl der Hungernden von 966 Millionen zu halbieren. Rechnet man China raus, in dem die FAO einen Rückgang um 102 Millionen verzeichnet, ist die Zahl der Hungernden seit 1996 um gerade mal 70 Millionen gesunken. Für den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, stellt sich die Lage noch pessimistischer dar. Nach seiner Schätzung oszilliert die Zahl der Hungernden seit den frühen 1970er Jahre um die 850 Millionen.

Doch selbst das bescheidene Ergebnis der FAO ergibt sich nur, weil die Bemessungsgrundlagen im Nachhinein geschönt wurden. So hat die FAO im Jahr 2012 eine neue Methodik zur Schätzung der Hungerzahlen eingeführt. Damit wurde die Ausgangssituation in den 1990er Jahren sehr viel negativer und die Situation heute sehr viel positiver. Anstatt 850 Millionen schätzte die FAO nun die Zahl der schwer Hungernden im Jahr 1992 auf 1 Milliarde. Für 2009 änderte sich die geschätzte Zahl von 925 Millionen auf 825 Millionen. Da die alte Methodik nicht weitergeführt wurde, können die entsprechenden Zahlen für 2015 nicht verglichen werden. 

Durch die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs), den Vorgänger der 2030-Agenda, wurde das Hungerbekämpfungsziel überlagert und zusätzlich verwässert. Die MDGs versprachen nicht mehr, die absolute Anzahl der Hungernden, sondern nur noch den prozentualen Anteil zu halbieren. Heute steht fest: Beide Ziele wurden nicht erreicht. Dies zeigt sich auch regional. Von den 129 Ländern, zu denen Schätzungen vorliegen, haben 29 das Ziel der Halbierung des Hungers erreicht, unter ihnen Länder wie Venezuela, Brasilien, Ghana oder Vietnam. Andere Ländern wie Sambia, Guatemala oder Indien verzeichneten einen Anstieg der Zahl der an schwerem Hunger leidenden Menschen.

In Indien beispielsweise lebt fast ein Viertel aller Hungernden und gleichzeitig erzielt das Land große Überschüsse in der Agrarproduktion. Hunger ist also besonders eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Leider, so betonen Kritiker, wird genau diese Frage bei der neuen Zielsetzung ausgeklammert. Stattdessen setzt das neue Ziel auf Produktionssteigerung in der Landwirtschaft. Angesichts dieser Versäumnisse fragen sich viele zu Recht, wie das neue, noch ambitioniertere Versprechen, den Hunger komplett auszurotten, in noch kürzerer Zeit erfüllt werden soll. Es wäre jedoch kein Wunder, wenn nicht spätestens fünf bis zehn Jahre nach Verabschiedung der 2030-Agenda neue statistische Kunstgriffe erfolgten, um die Bilanz besser aussehen zu lassen, als sie in Wirklichkeit sein wird.

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